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Nach dem Reaktorunglück in Japan konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, Dich wenigstens am Küchentisch mit einem Reaktorunfall experimentieren zu lassen - auch wenn das Resultat aus verschiedenen Gründen nicht wirklich in ein Physikbuch passt.

Wie funktioniert ein Kernkraftwerk?

Kernspaltung

Wenn Du mich fragen würdest, was an einem Atom das wichtigste ist, würde ich Dir von Elektronen erzählen: kleinen Teilchen, die wild umherschwirren und sich gegenseitig mit einer unheimlichen Kraft voneinander abstoßen. Und von Protonen, die im Atomkern sitzen, Elektronen anziehen, andere Protonen aber abstoßen. Fehlt ein Elektron, oder gibt es eines zu viel, bringen schon wenige Atome unwiderstehliche Kräfte auf, um diesen Mangel auszugleichen.

Ich könnte Dir jetzt die gesamte Chemie erklären, allein schon dem hier Erzählten. Wir könnten ein zweites Atom holen, Moleküle bauen und ich würde Dir vom Leben erzählen. Von dem, was wir schon wissen, wie es funktioniert.

Dieses Mal haben wir aber stattdessen die Neutronen anzusehen beschlossen, die die zweite Hälfte des Atomkerns bilden und mangels Ladung nahezu ohne Einfluss auf die chemischen Eigenschaften des Atoms sind. Sie sind aber dennoch nicht ohne Aufgabe: Die Protonen stoßen einander ab. Wenn die Anzahl an Neutronen nicht zu der jenigen der Protonen passt, dann fliegt Dir der Atomkern um die Ohren --- aber wie!

Die Kraft, die jedes einzelne der Bruchstücke, die hierbei entstehen, erhält, ist enorm: Ein Teilchen kann viele Tausend Moleküle auf seinem Weg zerschlagen, bevor irgendetwas es stoppen kann. Es kann Löcher in Kristallstrukturen schneiden und auf die Dauer härten radioaktive Teilchen sogar Stahl und machen ihn spröde. Immerhin wird es, wo immer viel Energie im Spiel ist, warm. Und das ist genau, was Du willst. Also nimmst du einen Stab aus einem besonders instabilen Material in die Hand und experimentierst.

Dein erster Brennstab

Du hast einen Stab aus einem Material, das so instabil ist, dass die Atome, aus denen er gebaut ist, hin und wieder von selbst zerspringen. Das Ding wird warm. Der Nachteil ist, dass bei jedem Zerfall eines Atomkerns Neutronen entstehen, die zwar wie Röntgenstrahlen ein ganzes Stück an Materie durchschlagen können, ohne, dass etwas passiert. Aber irgendwann werden sie von einem Atomkern aufgefangen, der dadurch definitiv eine falsche Anzahl an Neutronen bekommt. Also augenblicklich zerfällt, weitere Neutronen erzeugt und noch mehr Energie.

Vorsichtshalber hast Du Deinen Stab so dünn gebaut, dass die meisten der so erzeugten Neutronen davonfliegen, bevor sie noch mehr Kerne spalten können. Du nennst es einen Brennstab - aber ein echtes Kraftwerk ist das erst, wenn Du es an- und ausschalten kannst.

Du nimmst also einen zweiten Brennstab zur Hand und experimentierst.

Wozu braucht ein Kernkraftwerk Kettenreaktionen?

Liegen die Brennstäbe weit auseinander, erzeugen sie Wärme und Neutronen, die in alle Richtungen auseinanderstieben. Rückst Du sie aber näher zusammen, treffen einige der Neutronen von dem einem Stab auf Atome des anderen und umgekehrt. Sorgen dort für weitere Kernspaltungen und die Wärme, die die Brennstäbe produzieren, nimmt etwas zu. Vielleicht für Deine Anwendung zu wenig - was machst Du, wenn Du für Dein Kraftwerk zwischen halber Kraft und der vollen Leistung wählen kannst, aber niemand auch nur die Hälfte der vollen Leistung will? Rückst du sie also weiter zusammen und brauchst so plötzlich sehr viel Glück:

Neutronen von dem einen Kernbrennstab treffen den Anderen, lassen dort Atomkerne explodieren und von den Neutronen, die dabei entstehen, fliegen so viele zurück, dass noch viel mehr Kernspaltungen geschehen …

Wenn Du die Dinger nur ein wenig zu nah zusammengerückt hast, hast Du vielleicht noch Zeit, zu reagieren. Ansonsten hast Du eine Atombombe gebaut. Aber es ist eine Menge an Wärme entstanden, und wenn Du bei Deinem Versuch gute Reaktionen hattest, ist der Weg, der vor Dir liegt, klar:

  • Du schiebst die Brennstäbe so nahe zusammen, dass gerade eine Kettenreaktion entsteht,

  • wartest, bis sie sich aufgeschaukelt hat, um gerade genügend Energie zu liefern und

  • versuchst danach mit den Stäben in genau dem Abstand zu bleiben, in dem dies auch so bleibt.

Alles, was Du noch brauchst, ist ein möglichst unfehlbarer Mechanismus, der bei einem Störfall die Stäbe voneinander trennt oder ein Material dazwischenschiebt, das dieselbe Aufgabe besitzt.

Die Sache mit dem Ausschalten

Unsere Erfindung ist gemacht, wir rücken die Stäbe auseinander – aber das Kraftwerk läuft immer weiter: Die Neutronen, die bei der Kernspaltung entstanden sind, haben inzwischen auch komplett harmlose Materialien instabil gemacht. Das Einzige, was Dein Kraftwerk aber von einer Atombombe entscheidet, ist der Abstand der Stäbe zueinander. Was glaubst Du, was passieren kann, wenn das Ganze jetzt schmilzt? Auf der anderen Seite ist bei der Kernspaltung radioaktives Xenon entstanden, Wasserdampf – und beide fangen Neutronen ab. Wenn Du das Kraftwerk wieder anwerfen willst, dann musst Du die Stäbe näher zusammenrücken, als Du eigentlich solltest – und wenn das Xenon sich verzieht …

Das nächste Problem ist, dass aus den Dingen, mit denen wir eben noch gespielt haben, das radioaktive Plutonium entstanden ist. Von Plutonium der häufigsten Variante ist nach 24500 Jahren immer noch die Hälfte übrig. Du willst Deine Brennstäbe also definitiv Jahrmillionen lang lagern. Aber wo? Und wenn Du weißt, wie viele Jahrtausendkatastrophen zurzeit geschehen: Würdest Du Dich trauen, Tausende von Atomkraftwerken zu bauen in der Hoffnung, dass in keinem davon etwas Unvorhergeschehenes geschieht? Rein von der Statistik her geschieht in jedem Jahr in einem davon ein Jahrtausendereignis. Vielleicht einmal für ein paar Jahre in allen nichts, aber wenn man Pech hat, trifft es vielleicht dann mehrere auf Einmal...